Open Air Kino

15 Uhr. Ganz Ouagadougou hat Stromausfall. Wir arbeiten an den letzten Filmen – fünf Laptops haben wir, ein Akku nach dem anderen gibt den Geist auf.

17 Uhr – jetzt sollte die Präsentation eigentlich starten. Die Leinwand: Ein weißes Laken ins Fußballtor gespannt. Viele bunte Plastikstühle auf dem Schulhof, sonst tut sich wenig. Ob jemand kommt? Und wann geht’s los? „C’est l’afrique“ meint Sidiki und sein Mantra „pas de probleme“. Irgendwann brettert ein Bus auf den staubigen Schulhof, riesige Lautsprecher auf dem Dach, drinnen Band und Tanzgruppe. Es werden Kabel gezogen – ein gutes Zeichen? Langsam wird es dunkel.

Ich hab aufgehört, auf die Uhr zu schauen. Wir tragen unsere brandneuen Kleider, für uns maßgeschneidert aus dem Stoff der Schuluniform. Die Vertreterin der deutschen Botschaft kommt. Irgendwann gibt’s wieder Strom – es geht los. „Seid Willko-o-mmen“ singt der Schulchor, zweite Strophe: „Wir sind sehr zu-frie-den“, und dann kommt natürlich auch „… danach lasst uns alle strö-ö-ben, brüderlich mit ‚erz und ‚and“. Afrikanisches Aufklärungs-Theater auf deutsch: Schule ist wichtig, auch für Mädchen!  Dazwischen: Reden. Die Tanz- und Akrobatikgruppe: sensationell!

Und dann ist es soweit. Durch das Schultor sind immer mehr Menschen geströmt, die Stühle reichen schon lang nicht mehr, die Leute sitzen auf dem Boden, stehen, drängen sich, 2500 schätzt Sidiki, der seinen Schulhof kennt. Mittendrin das Fußballtor mit dem weißen Tuch, und dann leuchten sie darauf, die Gesichter „unserer“ Jugendlichen, eingefangen mit der Kamera. Die Geschichten funktionieren, die Leute reagieren, lachen, applaudieren.

Wend Raabo Tag 5 – Postkolonial

Die Jugendlichen sind unzufrieden damit, dass wir mit ihren Geschichten ins Hotel abgezogen sind. Klar, wir auch. Die technische Notwendigkeit dieser Aktion ist schwer zu vermitteln, das Misstrauen ist groß, die Angst, den Zugriff auf die eigene Geschichte abzugeben.

Gleichzeitig werden wir konfrontiert mit Bitten und Forderungen. Bitten um Geld, Forderungen, mitgenommen zu werden nach Deutschland. Im ersten Moment sind wir perplex – wir wollten ja gerade nicht die Europäer sein, die kommen und den armen Afrikanern Almosen geben. Wir sind zum Zuhören gekommen. In unserem Projekt geht es darum, dass die, die Geschichten erzählen, ihre eigenen Fähigkeiten und Kraftquellen entdecken und eben gerade nicht darauf warten, dass jemand ihr Leben für sie richtet. Na ja, andererseits tun „unsere“ Jugendlichen natürlich auch genau das, wenn sie versuchen, die Chance zu ergreifen, die unsere Anwesenheit für sie bedeutet.

Reden, viel Reden. Darüber, wie wichtig es ist, es aus eigener Kraft zu schaffen. Darüber, wie es ist, als Afrikaner ohne Sprachkenntnisse, ohne Status, ohne Einkommen in Deutschland. Darüber, wie wir leben, was Dinge bei uns kosten. Ob was ankommt?

Viel Gesprächsstoff auch für uns.

Wend Raabo Tag 4

Der Spruch des Tages kommt von Peter und fällt, als der Tag schon fast vorbei ist: „Das sieht jetzt ned gut aus“. Und das von Peter!

Wir sitzen spät nachts im Hotel vor unseren mitgebrachten Laptops und kämpfen – mit einem Computer-Wurm, den wir via USB-Stick schön verteilt haben. USB-Sticks funktionieren gar nicht mehr. Statt dass jeder Jugendliche in der Schule seinen eigenen Film baut, versuchen nun wir mithilfe des sehr geruhsamen Hotel-W-Lans Bilder, Töne und Filmschnipsel zumindest so auf unsere Rechner zu verteilen, dass wir basteln können. Schade – vormittags hatte es noch so ausgesehen:

In der Mittagspause sorgt Elisabeth für Spektakel, als sie Schulleiter Sidikis Gag ernst nimmt und auf den wunderschönen alten Baum klettert. Der zückt sein Handy und ruft den Hausmeister mit der Leiter. Später proben unter diesem Baum eine Gruppe Mädchen die deutsche Nationalhymne – ich bin gespannt auf die Präsentation …

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Und irgendwann kurz vor eins, als die Bar schon lang nicht mehr besetzt ist und wir den unwirksamen Medizin-Schnaps aus unseren Zimmern geholt haben, zeigt der Laptop dann diesen Bildschirm:

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Wend Raabo Tag 3

Heute gibt’s kaum Wir-bei-der-Arbeit-Fotos – keine Zeit. Wir arbeiten intensiv an den Geschichten, hören zu, fragen nach. Immer wieder und hier noch ganz anders als in Deutschland die Frage: Wie viel greife ich ein? Was ist afrikanische Art zu erzählen, was ist jugendliche Unkenntnis von Spannungsbogen und Dramaturgie? Was ist meine Vorstellung von afrikanischer Art zu erzählen? Wo sitze ich meinen eigenen Klischees auf?

Im Idealfall werden die Geschichten die Begegnung widerspiegeln, die Begegnung zwischen westafrikanischen Jugendlichen, die meisten Waisenkinder, und deutschen Medienmenschen.

Der Spruch des Tages steht in Marietous Geschichte, die davon träumt, Architektin zu werden: „Ein Mensch ohne Haus ist wie ein Mann ohne Frau.“

Viele „unserer“ Jugendlichen sind die einzigen ihrer Familien, die lesen und schreiben gelernt haben, die einzigen, die zur Schule gehen. Dafür, dass die meisten vorher noch nie einen Computer benutzt haben, haben sie Solitaire und Bilder von lustigen Pandabären schnell gefunden. Überhaupt ist heute, bei aller Anstrengung, die Stimmung locker. Die Gesichter werden immer offener, die Gespräche witziger. Mal schauen, ob sich bis zum Ende der Woche jemand traut, einen Formulierungsvorschlag von einem 1. erwachsenen 2. weißen 3. Lehrer abzulehnen …

Und dann, als wir mitten in den Audio-Aufnahmen stecken – schwierig genug bei 1200 Schülerinnen und Schülern und Räumen ohne Fenster, dann haben die Mädchen von der Berufsschule für Schneiderinnen Feierabend …

Feierabend in Wend Rabo from Elke Dillmann on Vimeo.

Garten – Hoffnung

Ein brachliegendes Grundstück, die Anwohner haben es als Toilette und Müllplatz genutzt. Und eine Frau mit einer Idee. Inzwischen hat das Grundstück Mauern. Eine Gruppe Witwen bewirtschaftet es, baut Gemüse und Salat an, für den Eigenbedarf und zum Verkauf. Jetzt, am Abend, ist Gießzeit. An den beiden Brunnen herrscht viel Betrieb, die Frauen schleppen die großen Kannen durch die Reihen. Auch diese Brunnen sind von Wunschträume e.V. instand gesetzt worden – für 500 wirklich gut investierte Euro.

Die „Hexen“

Neid, Missgunst, Bosheit, deshalb seinen die knapp 250 Frauen hier, sagt die Ordensschwester. Denn das stecke dahinter, wenn eine Frau der Hexerei bezichtigt werde. Wir sitzen im Kreis unter einem Baum im immer wärmeren Abendlicht, verschwitzt, müde nach der Arbeit in der Schule und es fällt uns schwer zu glauben was wir hören und sehen. Als Hexe zu gelten, erzählt die Nonne weiter, das bedeute für eine Frau, von der Familie davon gejagt zu werden. Das Haus der angeblichen Hexe wird verbrannt, ihre Kinder sieht sie nie wieder. Es gibt keinen Ort, wo diese Frauen hingehen können, viele leben im Wald oder auf der Straße. Manche landen in einer Kirche und dann werden sie hierher geschickt. Zwei Ordensschwestern und ein Mitarbeiter kümmern sich um die Frauen und eine Handvoll behinderter Männer – ebenfalls angebliche Hexer. Zum Leben haben sie nicht viel. Sie gehen auf Baumwollfelder und sammeln, was liegen geblieben ist. Sie kämmen, waschen und spinnen die Baumwolle, mit der Handspindel, das können auch die Frauen, die nicht mehr laufen können. 500 burkinische Franc bringt ein Knäuel, weniger als einen Euro. Die, die noch laufen können, sammeln Getreide, das auf der Straße aus den Säcken rieselt, die anderen klauben die Steinchen raus. Wunschträume e.V. hat den Frauen den Brunnen repariert.

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Wend Raabo, Tag 2

Wieder empfangen uns auf dem staubigen Schulhof Jugendliche beim Sportunterricht in der Sonne. IMG_4865
Die Geschichten „unserer“ Jugendlichen gewinnen ganz langsam an Form. Die Verständigung bleibt schwierig, wir verstehen ihre Variante von französisch oft genau so schlecht wie sie unsere – ihre Muttersprache ist Moré. Doch als wir anfangen, mit Bildern zu arbeiten, als wir anfangen zu drehen, den Jugendlichen die Kameras in die Hand geben, da ändert sich die Stimmung.

Jugendliche, die die Kamera erst mal ganz skeptisch in der Hand halten, verstehen sehr schnell, worauf es ankommt und machen mit viel Spaß tolle Bilder. Wer findet den Gimick in diesem Bild?

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Ganz ganz hinten in der Klasse, die mit 74 Schülern zu den kleineren gehört, sitzt einer, der da eigentlich nicht reingehört und filmt.

Am Nachmittag Arbeit am PC, für nahezu alle Jugendlichen völliges Neuland.

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Wend Raabo Tag 1

Der Schnaps gestern Abend hat nichts genutzt (irgendwie hatte ich eh nicht so richtig an die medizinische Wirkung geglaubt). Heute rebelliert mein Magen.

Wir starten trotzdem früh zur Wend Rabo Schule. Ja, Ouagadougou ist groß. Wir fahren über eine halbe Stunde vom Zentrum an den Stadtrand. Die Straßen sind voll, Autos, LKWs, Fahrräder und die vielen Mopeds, teils abenteuerlich beladen, teils selbst Ladung auf dem Dach von Kleinbussen. Trotz des Vielerlei fließt der Verkehr sehr entspannt. Jeder scheint auf den anderen zu achten, Blickkontakt regelt in umstrittenen Fällen die Vorfahrt, gehupt wird so gut wie nie.

In der Schule angekommen stehen die Mittelgroßen Spalier, die Großen zeigen ihre bunten Hintern beim Sportunterricht auf dem Schulhof und mittendrin blökt eine Ziege.

Später werde ich umringt von unzähligen Kleinen, 5 – 8-Jährigen, und schüttle gefühlte 200 kleine Hände. Noch später läuft ein noch kleineres Mädchen, sie ist vielleicht drei, panisch schreiend vor mir davon.

Storycircle unter dem Baum. Die Jugendlichen tun sich schwer mit dem Erzählen. Das, was ich vom sonstigen Unterricht mitkriege, klingt auch nicht so, als wäre eigene Meinung, eigene Geschichte hier oft gefragt. Also lassen wir sie schreiben. Heraus kommen Dankesbriefe an Monsieur le Fondateur, der es ermöglicht hat, dass ich hier zur Schule gehen darf. Jetzt geht’s ans „Schälen“, denn in jeder dieser Noch-Nicht-Geschichten steckt ein Samenkorn, das einmal eine werden könnte.